Ökologische Infrastruktur (ÖI) ist ein Netzwerk aus ökologisch hochwertigen Lebensräumen und Vernetzungs­flächen

Alex Stirnemann ist seit 2019 Projektleiter in der Sektion Natur und Landschaft beim Kanton Aargau. Der Biologe ist kantonsweit zuständig für die Umsetzung und Koordination der «Ökologische Infrastruktur». Der WWF erhielt die Möglichkeit sich mit ihm über diese wichtige Aufgabe zu unterhalten.

Die Fachgruppe ÖI hat sich im Sinne eines Think-Tanks im Jahr 2018 gebildet, um den höchst anspruchsvollen Aufbau der ÖI zu unterstützen. Sie umfasst für die fachliche Ausrichtung der ÖI wichtige Akteure aus der Wissenschaft, den Daten­zentren (InfoSpecies), dem Bund (als ständiger Gast), den Kantonen
und Städten, den Schweizer Pärken und ausgewählten NGO’s (z. B. WWF).
Das hier abgebildete Logo der Fachgruppe symbolisiert die Bedeutung der ÖI als besonders wichtige Infra­struktur der Schweiz. Auf der Homepage der Fach­grup­pe www.oekologische-infra­struktur.ch finden sich u. a. Materialien zur Definition, zu Zielwerten und zur raumplanerischen Sicherung der ÖI.

WWF: Was bedeutet «Ökologische Infrastruktur» für Sie und welche Ziele sollen im Kanton Aargau erreicht werden?

Alex Stirnemann: Die Ökologische
Infrastruktur (ÖI) ist ein Netzwerk aus ökologisch hochwertigen Lebensräumen und Vernetzungsflächen. Dieses gilt es in den kommenden Jahren im Kanton Aargau systematisch zu verbessern mit dem Ziel, die Biodiversität zu erhalten und ihre Anpassungsfähigkeit unter anderem an klimatische Veränderungen langfristig zu gewährleisten.

Wie geht es dieser Infrastruktur momentan bei uns und wo sehen sie den grössten Handlungsbedarf im Kanton?

Heute bestehen Lücken in der Vernetzung sowie ein Mangel an grösser zusammenhängenden Kerngebieten. Der grösste Handlungsbedarf besteht vor allem im Siedlungsraum sowie im intensiv genutzten Kulturland. In beiden gibt es durchaus Potentiale, um Lebensräume wiederherzustellen und zu Gunsten von Flora und Fauna aufzuwerten. Beispielsweise wurden organische Böden im letzten Jahrhundert grösstenteils entwässert. Sie bildeten artenreiche Feuchtlebensräume, von denen es heute im Kanton stark mangelt. Zudem bestehen Defizite an natürlichen Strukturen in Agrarlandschaften. Daneben gilt es im Siedlungsgebiet die Potentiale auf öffentlichen Grünflächen und in Privatgärten zu nutzen und in Planungen zu berücksichtigen – hier können alle etwas beitragen.

Wie ist der derzeitige Planungsstand im Kanton Aargau?

Der Kanton Aargau hat eine Fachgrundlage erarbeitet, die den Ist-Zustand quan­tifiziert, den Handlungsbedarf für
die Lebensraumaufwertung und
-wie­der­herstellung herleitet und kantonale Schwerpunkträume ausweist. Das Umsetzungskonzept sieht einerseits vor, die Fachgrundlage zu regionalisieren, andererseits können mit dem
kantonalen Programm Natur 2030 erste Massnahmen umgesetzt oder unterstützt werden.

Welche Chancen und Synergien gibt es?

Mit der Ökologischen Infrastruktur werden die bestehenden Programme wie zum Beispiel die Wildtierkorridore und die Revitalisierungsplanung sinnvoll erweitert. Zudem bilden das Programm Labiola sowie Meliorationen wichtige Synergien im Landwirtschaftsgebiet. Dabei werden die Schwerpunkträume der ÖI in den künftigen Vernetzungsprojekten und Landschafts­kon-­
zepten berücksichtigt. Im Siedlungs­gebiet bieten Massnahmen zur Klimaanpassungen wichtige Synergien zur Biodiversitätsförderung und zur
Vernetzung.

Was sind die grössten Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung zu erwarten sind?

Der Handlungsbedarf ist sehr gross, sodass alleine die Bemühungen des Kantons nicht ausreichen werden. Um die notwendigen Massnahmen flächendeckend umzusetzen, ist die Beteiligung der Gemeinden und aller raumrelevanter Akteure notwendig. Eine grosse Herausforderung ist dabei die Gewichtung der unterschiedlichen Nutzungs­interessen (zum Beispiel Fruchtfolge­flächen, Energiegewinnung etc.) gegen­-
über dem dringend notwendigen Handlungsbedarf zum Ausbau der ÖI.

Gibt es eine interkantonale Zusammenarbeit oder schauen sie den Kanton Aargau isoliert an?

Die Kantone sind derzeit daran, ihre Fachgrundlagen zu erarbeiten. Zusammen mit den Kantonen Bern und Zürich hat der Kanton Aargau hier Pionierarbeit geleistet. Im weiteren Verlauf des Projektes ist eine Abstimmung an den Grenzen sinnvoll. Um sicherzustellen, dass die kantonalen Grundlagen aufeinander abgestimmt sind, ist auch der Bund gefordert. Die Mobilität der Lebewesen kennt schliesslich keine Kantonsgrenzen.

Welches sind die wichtigsten Stake­holder bei der Umsetzung der «Ökologischen Infrastruktur»?

Gemeinden und Regionalplanungs­verbänden obliegt einerseits bei der Planung (Landschaftsentwicklungs­programme, Kommunale Nutzungs­planung) eine wichtige Rolle, andererseits fungieren sie als Vorbild und können regionale Akteure zusammenbringen, Massnahmen koordinieren sowie lokale Chancen erkennen und nutzen. Daneben ist auch die Weiterentwicklung der Agrarpolitik auf nationaler Ebene gefordert.

Wie können der WWF und seine Mitglieder die Umsetzung unterstützen?

Den NGOs kommt eine wichtige Rolle in der Kommunikation zu. Das Thema und der Begriff Ökologische Infrastruktur muss weiter im Bewusstsein der Menschen verankert werden. Weiter ist die Beteiligung von Mitgliedern des WWF vor allem in den kommunalen und regionalen Gremien sehr wichtig und kann zum Beispiel bei Planungen und Umsetzungsprojekten entscheidend sein.

Wir danken ganz herzlich für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.

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